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„Wir ticken anders als andere“: Wie Familie Hack mit dem Asperger-Syndrom des neunjährigen Jacob umgeht

Erstellt: 

Von: Christopher Göbel

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Jacob Hack (vorne) aus Mittelkalbach hat das Asperger-Syndrom. Wie die Familie damit umgeht, erzählt sie im Gespräch mit unserer Zeitung
Jacob Hack (vorne) aus Mittelkalbach hat das Asperger-Syndrom. Wie die Familie damit umgeht, erzählt sie im Gespräch mit unserer Zeitung. © Göbel

Leben mit Autismus: Wir besuchten Familie Hack aus Osthessen und zeigen, wie das Leben mit einem von Autismus betroffenen Kind aussieht.

Kalbach. Jacob ist neun Jahre alt und lebt mit seiner kleinen Schwester Lilli, Mutter Judith und Vater Christoph im kleinen Ort Mittelkalbach südlich von Fulda. Grundsätzlich eine ganz normale Familienkonstellation, aber bei den Hacks ist alles ein bisschen anders. Denn Jacob hat das Asperger-Syndrom, eine leichte Form des Autismus, die medizinisch zu Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) gezählt wird. Sehr vereinfacht könnte man es als Kontakt- und Kommunikationsstörung bezeichnen. Die Klima-Aktivistin Greta Thunberg („Fridays for future“) ist derzeit einer der bekanntesten Menschen mit Asperger-Syndrom.

„Der Familienalltag ist durch Jacob geprägt. Wir müssen uns ihm anpassen“, sagt Judith Hack. Die Eltern bieten ihm Strukturen, Rituale und einen geregelten Tagesablauf. „Eigentlich ist jeder Tag durchgeplant“, so Vater Christoph.

Wechsel von Kindergarten und Schulen

Bereits im Kindergarten zeigte sich, dass Jacob anders ist als andere Kinder. „Mit vier Jahren sind wir mit ihm in die Uniklinik Würzburg gefahren, um unseren Verdacht überprüfen zu lassen“, sagt Mutter Judith. Der Wechsel vom zuständigen in einen kleineren Kindergarten sei gut gewesen, Frühförderung und Ergotherapie hätten Jacob als Kleinkind bereits geholfen. Kurz vor der Einschulung habe die Diagnose Asperger festgestanden.

„Jacob ist kognitiv sehr fit und wir sehen seine Entwicklung“, sagt Christoph. Es gehe langsam und in kleinen Schritten und Jacob wird immer zusätzliche Unterstützung brauchen, denn das Asperger-Syndrom ist nicht heilbar, aber psychotherapeutisch behandelbar. „Jacob muss ein Umfeld haben, das ihn so akzeptiert, wie er ist“, sagt Judith. Seit seiner Einschulung hat Jacob mehrere Schulwechsel hinter sich und auch die Schulbegleitung hat oft gewechselt. „Eigentlich wollten Jacob und wir dann keine Schulbegleitung mehr“, sagt Judith. An den Schulen war häufig das Problem, dass sich „die Lehrkräfte nicht auf die Besonderheiten von Jacob einstellen konnten“, so Christoph. Dies sei auch auf einer Schule für kranke Kinder in Fulda so gewesen. Jetzt besucht Jacob die Grundschule in Weyhers. „Dort wird er akzeptiert, wie er ist“. freuen sich die Eltern. Jacob hat eine Betreuerin, die auch seine derzeitige Schulbegleitung ist.

Auswirkungen der Corona-Pandemie

„Die Corona-Pandemie war gut für ihn“, sagt Judith. Jacob sei auch zwischen den Schulwechseln teilweise zuhause beschult worden. Allerdings sei es Jacob schwergefallen, Schule und Zuhause zu trennen. Die Corona-Pandemie stellte jedoch besondere Anforderungen an Familie Hack: „Er brauchte jetzt rund um die Uhr seine Strukturen, konnte nicht zu seiner Betreuerin und alle Unterstützungssysteme sind weggebrochen“, erzählt Judith. „Lilli muss funktionieren“ Schwester Lilli, die ein Jahr jünger als Jacob ist, musste rund um die Uhr als Spielgefährtin zur Verfügung stehen. „Sie muss oft zurückstecken und funktionieren“, sagt Christoph. Sie müsse die Klügere sein, und das Leben mit Jacob sei sehr herausfordernd für sie. Die Eltern haben sich deshalb „Lilli-Tage“ ausgedacht, an denen sie nur für ihre Tochter da sind. Jacob ist dann entweder bei seiner Großmutter, die nebenan wohnt, oder seiner Betreuerin. „Ich bin froh, dass ich ihn habe, aber manchmal ist es sehr anstrengend“, sagt Lilli.

Autismus-Begleithund Frieda

Das Familienleben der Hacks hat sich seit dem 15. Januar 2018 etwas entspannt. Durch eine Spendenaktion kam Autismus-Begleithund Frieda in die Familie. Frieda ist inzwischen Jacobs ständige Begleiterin. „Wir sind füreinander bestimmt“, sagt Jacob. „Das Reizniveau ist seitdem niedriger“, sagt Christoph. Gab es früher täglich „Overload-Situationen“ durch zu viele Reize, so haben sich diese und die meist damit verbundenen Wutausbrüche von Jacob auf ein- bis zweimal pro Monat verringert.

Jede Abweichung vom üblichen Tagesablauf bringt Jacob durcheinander. „Es dauert dann ein paar Tage, bis es wieder normal ist“, so Christoph. Tagesausflüge als Familie sind erst durch Frieda möglich geworden. „Man muss Jacob aber darauf vorbereiten, was man gemeinsam unternehmen möchte“, so Judith. „Urlaub meiden wir“, fügt Christoph hinzu. Wenn überhaupt, fahre man im Herbst an Orte, „wo nichts los ist“, beispielsweise ans Meer. „Und dann lieber eine Ferienwohnung als ein Hotel. Dann kann man Jacobs Tagesablauf besser gestalten.“ Als Auszeit verbringen die Eltern einmal im Jahr einen Wanderurlaub ohne Kinder.

Arbeit als Auszeit

Auch die Arbeit der Eltern – beide arbeiten in Teilzeit, was aber nicht durch Jacobs Besonderheit bedingt ist – sei Abwechslung vom Alltag und „ein bisschen Normalität“. „Wenn wir nicht arbeiten würden, würden wir durchdrehen“ sind sich Judith und Christoph einig. Was alles noch dahintersteckt, wenn man ein an Asperger leidendes Kind hat, schildert die Mutter so: „Man ist relativ alleine damit. Der Alltag ist sehr herausfordernd und Wege zu Ärzten, Ämtern und Behörden müssen ebenfalls bewältigt werden. Das alles muss geplant werden und das ist ein Riesenaufwand.“

„Unsichtbare Behinderung“

Dies alles sehen Menschen, die der Familie nicht nahestehen, nicht. „Es ist eine unsichtbare Behinderung“,; sagt Judith. Und auch in der eigenen Familie werde Jacobs Beeinträchtigung nicht immer akzeptiert. In der Öffentlichkeit werde der Neunjährige meist als schlecht erzogen dargestellt, als Kind, das keine Grenzen kenne. „Das ist die Schwierigkeit, der wir immer ausgesetzt sind, wenn wir unterwegs sind“, so der Vater. Es sei ein „ständiges Spießrutenlaufen“ und man müsse immer um Verständnis für Jacobs Verhalten bitten.

Die Eltern haben sich an das „Autismus- Therapie- und Beratungszentrum“ gewandt, das neben Standorten in Nordhessen unter anderem eine Zweigstelle in Fulda hat (siehe unten). Judith hat auch eine Weiterbildung zur Autismus-Begleiterin absolviert, um ihrem Sohn noch besser zur Seite stehen zu können. Auch Vater Christoph hat viel zum Thema gelesen. „Für unser Problem gibt es sehr wenige Anlaufstellen“, sagt er.

Trotz aller Schwierigkeiten, die Familie Hack hat, ist aber eines sicher: „Es ist schön, so ein besonderes Kind zu haben, das uns immer aus unserer Komfortzone herauslockt.“

Therapiehund Frieda ist eine starke Stütze im Alltag von Jacob.
Therapiehund Frieda ist eine starke Stütze im Alltag von Jacob. © Göbel

+++ +++ +++Hintergrund: Beratung und Hilfe für Betroffene +++ +++ +++

Am 1. April 2013 wurde das „ATB Autismus- Therapie- und Beratungszentrum“ gegründet. Gemeinsam wurden neue Angebote und Strukturen für die therapeutische Förderung autistischer Kinder, Jugendlicher und Erwachsener und die Beratung ihres Lebensumfeldes der Region Nordhessen konzipiert und umgesetzt. Das erweiterte Angebot beinhaltet neben therapeutischer Interaktion im Einzel- und Gruppenkontext, niedrigschwellige ergänzende Beratungsmöglichkeiten und Fachseminare für Angehörige von Betroffenen und professionell tätige Menschen.

Die Hauptgeschäftsstelle des „ATB“ ist in der Kölnischen Straße 43 in Kassel beheimatet. Außenstellen gibt es in Fulda, Eschwege, Frankenberg und Bad Arolsen. Das „ATB Autismus Therapie- und Beratungszentrum“ bietet eine Vielzahl therapeutischer Methoden aus dem heilpädagogischen, pädagogischen und therapeutischen Setting im Rahmen eines multimodalen Konzepts für Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung und deren Lebensumfeld an.

Das „ATB „ist überregional tätig und ermöglicht mit seinen Standorten in den Regionen Nord- und Osthessen eine wohnortnahe Versorgung Betroffener und ihrer Familien. Wenn Eltern den Verdacht haben, dass ihr Kind Autismus habe oder die Diagnose bereits feststeht, können sie eine kostenlose Erstberatung beim „ATB“ vereinbaren. Dies ist unter den Telefonnummern 0561/33430 oder 0661/20619950 möglich. Viele weitere Informationen gibt es unter www.atb-kassel.de im Internet.